Das Ziel vor Augen. 100% fokussiert. Diszipliniert. Die Fänden in der Hand. Alles im Griff. Unter Kontrolle. Keine bösen Überraschungen. Oder eben so wenige wie möglich. Was passiert eigentlich mit uns, wenn wir nach dieser Art Kontrolle streben? Ist Kontrolle am Ende vielleicht etwas, das uns hemmt? Vom richtigen Leben ablenkt? Oder vielleicht sogar eine Illusion. Denn mal ehrlich: Gibt es sowas wie Kontrolle? Hatten wir je die Kontrolle über unser Leben?
Aha-Moment: Wo ist die Kontrolle hin?
Für mich ist dies eine der Erkenntnisse, die mir früh in den Sinn gekommen sind, als vor einigen Wochen im Fernsehen erstmalig von einer weltweiten Pandemie gesprochen wurde. Die vermeintliche Kontrolle, die wir in unserem Leben haben, oder manchmal gerne hätten, ist eine Illusion. Es gibt so viele Faktoren, die unser Leben beeinflussen. Und sei es ein Virus, dass am anderen Ende der Welt entsteht und sich innerhalb weniger Wochen über den ganzen Planeten ausbreitet. Und obwohl dieser Gedanke zunächst so beängstigend ist, hat er mich auf sehr kontroverse Art auch ein Stück weit erleichtert.
Die Situation rund um das Coronavirus hat uns daran erinnert, dass es keine Kontrolle gibt. Oder eben nicht die absolute Kontrolle über alle Lebensbereiche. Denn egal wie viele Aspekte wir vorher für planbar, und „unter Kontrolle“ wägten, so ist doch schnell klar geworden, dass wir gegenüber einer solchen Situation ziemlich machtlos sind. Warum das erleichternd ist? Eigentlich ganz einfach: Weil wir in eben diesen Lebenslagen merken, wer im Machtspiel um die Kontrolle das Zepter in der Hand hat. Wir sind es nicht. Und wir können diesen Kampf auch nicht gewinnen.
Anna Mathur bringt es auf den Punkt
Ich habe vor einigen Wochen bei einem meiner Lieblings-Podcasts eine Stelle aufgeschnappt, die besser nicht beschreiben könnte, was uns das Coronavirus in Sachen Kontrolle gelehrt hat:
Our ability to control has suddenly come down to a few simple requirements and I think anxiety itself sits in that place of lack of control and that is what anxiety is completely fueled by, when we really focus on those things that are out of our control. The thing is: We never really had a lot of control before, but suddenly, all our normal coping mechanisms, which might have been a busy life, it might have been a busy job, it might have been socializing, those coping mechanisms have been taken away from us. So we’re really faced with this quite anxiety provoking reality and the fact that we don’t really have a huge amount of control.
The Deliciously Ella Podcast, Interview mit Anna Mathur
Wie sicher ist der sichere Hafen?
Schaut man sich den Begriff Kontrolle einmal ganz nüchtern an, so ist dieser eigentlich eher negativ konnotiert. Er steht im Zusammenhang mit Begriffen wie Überwachung, Herrschaft, Aufsicht, Dominanz. „Etwas unter Kontrolle haben“ ist dagegen positiv besetzt. Jedenfalls für mich. Weil aus meiner Sicht bei dem Gedanken daran, die Kontrolle zu haben, mitschwingt, dass alles gut ist. In Sicherheit. Save. Wie eine Burg mit festen Mauern, die jeglichen Gefahren stand hält und nur zulässt, was Teil des Plans ist. Aber auch das nur solange kein tödliches Virus Einzug hält oder etwa ein Angriff von oben die festen Mauern redundant macht. Das Fazit ist: Es gibt keine 100%ige Sicherheit. Es gibt keinen sicheren Hafen. Das einzige, was wir mit unseren Mauern häufig erreichen, ist der Aufbau eigener Limitationen und Beschränkungen. Gedanklich, Mental, Emotional.
Das Machtspiel mit der Kontrolle
Und obwohl wir uns dessen theoretisch bewusst sind, halten wir an der Kontrolle fest. An dem, was in unserem Einflussbereich liegt. An dem wohligen Gefühl, die Stränge in der Hand zu halten und selbstbestimmt zu handeln. Einen Teil von dieser Macht über das was passiert nicht aus der Hand zu geben. Ich bin so jemand. Ich habe die Stränge am liebsten fest mit beiden Händen umklammert. Und lasse nur ungern los. Aus Angst, es könnte etwas passieren, das nicht in den Plan passt. Das alles durcheinander bringt. Mich aus der Fassung, aus der Kontrolle bringt. Deswegen lasse ich nicht los. Ob mich das immer weiter gebracht hat, wage ich zu bezweifeln. Das Resultat: Ich bin grundsätzlich ganz zufrieden mit den Strängen in meiner Hand. Aber ich bin eben auch ganz schön angespannt. Nahezu verbissen. Und weit weg von der Unbeschwertheit, die ich mir so oft wünsche.
Wir haben es bereits bewiesen
Die logische Konsequenz: Es gibt keine vollständige Kontrolle. Wir werden den Kampf um die Kontrolle immer und immer wieder verlieren. Und: Das einzige was wir beim Kampf um die Kontrolle erreichen und errichten sind die Mauern, die uns am Ende der eigentlichen Freiheit, Planbarkeit und Unbeschwertheit berauben. Die gute Nachricht: Was es braucht, um diese Misere zu umgehen, die Situation zu akzeptieren wie sie ist und vertrauensvoll weiter zu machen, haben wir alle in den letzten Wochen bereits bewiesen.
Für uns alle kam irgendwann der Punkt, an dem wir uns auf die Couch haben sacken lassen und resigniert haben. Resigniert in dem Sinne, dass wir entgegen jeglicher Bedürfnisse und Verpflichtungen Zuhause geblieben sind. Die Familie nicht besucht haben. Geburtstage nicht wie sonst gefeiert haben. Unseren Arbeitsalltag umgekrempelt haben. Uns angepasst haben. Und ich glaube an dem Punkt, wo das klar war, ging es schon etwas besser. Als wir verstanden haben, dass wir nichts an der Situation ändern können. Und stattdessen angefangen haben, damit umzugehen und zu leben. Die, die sich am schnellsten an diesen Gedanken und die neue Situation gewöhnt hatten, waren auch die, die sich am ehesten wieder entspannen konnten und das Beste draus gemacht haben.
Der Anfang einer Lösung
Ich bin bestimmt noch lange nicht durch mit dem Thema Kontrolle. Aber ich stoße immer wieder auf kleine Lösungsansätze und Erkenntnisse, die wohl Schritt für Schritt in die richtige Richtung führen. In den letzten Wochen habe ich in diesem Zusammenhang vor allem drei Dinge gelernt: Erstens, es gibt keine vollständige Kontrolle. Zweitens, die Fähigkeit, sich auf unbekannte Situationen neu einzustellen, ist wertvoller als jeder durchkontrollierte Masterplan. Drittens, es gibt doch etwas, das den Kampf gegen die Kontrolle gewinnen kann: Vertrauen. In uns. In die Menschen um uns herum. Und darin, dass immer alles gut wird.
It was survival of the fittest all the time… was never survival of the best prepared 🙂 trust yourself, trust the ones who love you and… trust the universe. And Leia 🙂
Love those words, Patricia. I need to keep reminding myself, it’s not „survival of the best prepared“ 🙂