Wie sehr beeinflusst Risikobereitschaft unsere Lebensfreude?

Neulich habe ich einen tollen Artikel von David Blum gelesen, der die Glaubenssätze und Erwartungen meiner Generation sehr gut beschreibt. Der Text ist wie folgt betitelt:

Ich habe keine Angst vorm Sterben. Ich habe viel mehr Angst zu leben.

Besonders in diesem Statement habe ich mich wieder gefunden: „Ich erwarte 100% Leben mit 30% Risiko.“ Im Zuge meiner HR-Tätigkeit und Zugehörigkeit zu einem großen Unternehmen habe ich schon einige Persönlichkeitstests gemacht. Ganz bekannt ist der Myers-Briggs-Typenindikator, kurz MBTI, oder auch der Discovery Insights Test. Wenn man solch einen Test macht, lernt man sich zum einen selbst ein bisschen besser kennen, zum anderen vereinfacht eine solche Transparenz aber auch die Zusammenarbeit im Team. Eine Komponente, die bei solchen Tests auch abgefragt wird, ist die Risikobereitschaft und somit die Frage: „Wie risikobereit bist du auf einer Skala von 1-10?“

Für mich ist diese Antwort immer in zwei verschiedenen Kontexten zu beantworten: beruflich und privat. Beruflich bin ich glaube ich eine 7-8. Da lebe ich ganz nach dem Motto: Je größer die Herausforderung und das Unbekannte, desto besser. Aus diesem Grund ist wohl mein Lebenslauf auch alles andere als geradlinig. Angefangen im Personalrecruiting und einem breit aufgestellten Sprachen-Bachelor über eine Tätigkeit als HR Business Partner mit nebenberuflichem Marketing-Masterstudium bis hin zur Vertriebsposition im E-Commerce und Digitalbereich. Ich war schon immer mutig und risikofreudig genug, mich auf Positionen zu bewerben, deren Anforderungen ich auf dem Papier bei weitem nicht erfüllt habe. Trotzdem hat das mit dem beruflichen Neuland bisher gut geklappt und mich darin bestärkt, immer wieder ins kalte Wasser zu springen und die Komfortzone zu verlassen.

Ein Bereich, in dem ich wenig risikobereit bin, ist mein Privatleben. Da überstimmt die Angst die Risikobereitschaft und hält mich davon ab, Unüberlegtes oder Undurchdachtes zu tun. Ich bin ganz ehrlich: Am liebsten würde ich die nächsten zehn Jahre bis ins Detail strategisch durchplanen, genau bestimmen, was wann passiert, welcher Meilenstein wann erreicht wird und in welcher Reihenfolge dies passieren soll. Wäre das dann nicht langweilig und würde da nicht ein wichtiger Aspekt fehlen: die Lebensfreude? Ist nicht das Schöne im Leben, dass man vorher nicht weiß, was passiert? Ich würde diesen Deal wahrscheinlich trotzdem abschließen. Planbarkeit gegen Lebensfreude eintauschen. Selbst bestimmen, Kontrolle behalten, nicht den Boden unter den Füßen verlieren. Bekomme ich mit diesem Ansatz 100% Leben? Ich fürchte nein. 

Woher kommt dieses Verlangen nach Planbarkeit? In meinem Fall leider auch daher, dass ich schon erlebt habe, wie es ist, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Ich weiß wie es sich anfühlt, wenn schlimme Dinge passieren. Wenn Menschen krank werden, wenn man geliebte und wichtige Menschen verliert, wenn plötzlich alles anders wird, als man dachte. Und so viel Stärke man auch beweist in solchen Situationen und merkt, dass das Leben weiter geht, desto größer ist auch die Angst, dass das jederzeit wieder passieren könnte. Zumindest bei mir. 

Was man dagegen tun kann? Niemanden mehr an sich heranlassen. Nicht mehr zu stark lieben. Nichts ungesundes essen oder trinken. Keinen Extremsport machen. Keine Unternehmen gründen. Keine Kredite aufnehmen. Nicht über die eigenen Verhältnisse leben. Nicht den Job wechseln. Und nicht mehr fliegen. Am besten: Nicht mehr aus dem Haus gehen. Und: Nicht „leben“.

Eines ist klar. Selbst wenn man diese ganzen Punkte befolgt, und ich überlege zeitweise daran, ist das noch immer keine Garantie dafür, das nichts Schlimmes passiert. Eine liebe Freundin hat mir dazu einmal einen tolle kleine Zeichnung gemalt, an die ich seither immer wieder denke, wenn die Angst die Lebensfreude beeinträchtigt:

Wir können unser Leben bis zu einem bestimmten Punkt bestimmen, planen, kontrollieren. Aussuchen wie und wo wir leben möchten, mit wem wir Zeit verbringen, wie oft wir unsere Familie sehen, wohin wir reisen, wie wir reisen, welchen Beruf wir lernen, in welchem Beruf wir bleiben, welche Gedanken unseren Alltag bestimmen. All das und noch viel mehr liegt in unserer Hand. Alles was darüber liegt, sinnbildlich über der schwarzen Linie, können wir nicht bestimmen. Haben wir keine Kontrolle drüber. Das ist manchmal schlimm und manchmal gut so.

Über der Linie passieren Dinge, die uns den Boden unter den Füßen nehmen und uns verletzen und traurig machen. Aber auch Dinge, die wir nie hätten planen können, die uns den Atem rauben, die uns Schmetterlinge im Bauch machen und ein warmes Gefühl ums Herz. Das ist das Leben. Das ist der Deal, den wir bekommen. Take it or leave it. Und ich persönlich möchte mich viel mehr und immer öfter für ersteres entscheiden (take it :-).

Insbesondere möchte ich die Entscheidungen, die ich treffe, beruflich wie privat, nicht auf Basis von Angst treffen, sondern auf der Basis von Hoffnung, Zuversicht und Freude. Und so langsam die Risikobereitschaft von 30% auf mindestens 50% steigern – Schritt für Schritt. 

Etwas, das ich in den letzten Wochen vermehrt getan habe, ist gezielt zu hinterfragen, woraus negative Gedanken und Sorgen, die mich beschäftigen, entspringen. Wodurch sie fundiert sind, ob sie überhaupt Sinn ergeben. Und dann kann man irgendwann unterscheiden und merkt, „das ist nur die Angst die da spricht.“ Und wenn man sich diese dann als kleines Teufelchen auf der Schulter vorstellen kann, das man besser in die Ecke verjagt, dann fällt es vielleicht etwas leichter, mehr Distanz zur Angst zu bekommen und den Kopf wieder frei zu machen für fundierte Gedanken. Für Fakten und Freude und eine große Portion Mut. 

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